Freitag, 23. Juni 2017
Intensivstation
Wenn du Zwillinge auf die Welt bringst und das auch noch mit Einleitung in der 36. Woche, dann ist es egal, wie stabil sie nach der Geburt sind und wie gut es ihnen geht, in einer guten Klinik kommen sie auf die Kinderintensivstation.
Im ersten Moment scheint das klug, man muss Frühchen eben überwachen. Kein Kommentar dazu, dass Zwillinge bis zur 36. Woche auszutragen schon wirklich wirklich gut ist!
Sie kommen also auf die Intensivstation.

Das Gute daran ist, man hat es vorher gewusst. Das Blöde ist, man war trotzdem nicht drauf vorbereitet.
Dass einem die Kinder nach den ersten 2 h Bonding - in Ermangelung eines besseren Wortes - weggenommen werden, ist ja mal noch nicht so furchtbar tragisch. Jede Mama, die natürlich entbunden hat weiß, dass man danach ganz schön platt ist und erstmal eine Verschnaufpause braucht. Und wenn die zwei jungen Kinderärzte, die deine Jungs in Obhut nehmen so nett sind wie in meinem Fall, dann lässt du sie gerne und guten Gewissens ziehen, weißt du doch, dass du immer immer immer zu deinen Kindern darfst, sobald du ein bisschen erholt bist.
Also bleibst du die vorschriftsmäßige Zeit im Kreißsaal zur Überwachung zurück, während der frischgebackene Papa mit den Ärzten und seinen Kindern mitgeht. Alles super und paletti. Später wirst du in dein Zimmer zurückgebracht und darfst dann unter Aufsicht das erste Mal wieder aufstehen, ins Bad gehen und dir deine eigenen Klamotten wieder anziehen, auch wunderbar. Dass du danach gleich wieder zurück ins Bett gebracht wirst findest du auch klasse, weil deine Beine nach PDA und Geburt noch ein bisschen Pudding sind und du alleine eh noch keinen Schritt tun kannst.
Und dann kommt dein Freund mit einem Rollstuhl, weil du natürlich unbedingt die 8 Stockwerke und 35 Flure runter zu deinen Kids möchtest und bringt dich hin.

Und es ist egal, wieviele Dokus du vor der Geburt angeschaut hast, wieviele Bücher du gelesen und wieviele Mamas du interviewt hast, egal, wie kaputt du noch von der Geburt bist und wie unsagbar müde und platt. Deine neugeborenen Kinder in einem Wärmebett zu sehen, an Kabel und Monitore angeschlossen, mit einem Schlauch in der Nase (die Magensonde) - das ist hart.
Du denkst positiv, weil du ja weißt, dass sie gesund sind und der Arzt der neben dir steht dir das auch sagt. Du weißt, im Moment bräuchten sie nichts von alledem, aber sie sind nunmal auf der Intensiv, und da ist das Vorschrift für jedes Baby das neu reinkommt. Zur Überwachung.
Und du sitzt da in deinem Rollstuhl, kämpfst dich zwei drei mal für etwa eine Minute auf deine Puddingbeine hoch bevor sie wieder einknicken, um einen Blick auf deine Kinder zu werfen, hörst, dass sie nach Hause dürfen, wenn 5 Tage am Stück keine Auffälligkeiten am Monitor waren und sie anständig trinken und denkst dir: Was solls, in einer Woche sind wir hier raus!

Denkste!

Was sie dir nämlich nicht sagen ist folgendes:
Landest du nach einer normalen Geburt mit deinem Baby auf der Wochenstation, kannst du dort nach Bedarf stillen. Das heißt, du kannst - wenn du es willst - dein Kind jede Stunde anlegen, solange bis die Milch anständig fließt und sich ein Rhythmus eingependelt hat. Bei zu großem Hunger wird ein bisschen Zuckerwasser oder anderes zugefüttert aber im Prinzip lassen sie dich machen. Soviel dazu. Aber auf einer Intensivstation mit durchschnittlich mindestens 15-20 Frühchen und noch ein paar sehr kranken Kindern hat natürlich keiner Zeit, jedes Kind nach Bedarf zu füttern, zumal du als Mama dich dort nicht häuslich einrichten kannst und deswegen nur immer wieder kommst, denn Neugeborene schlafen sehr viel und eine Frühchenstation ist für gesunde Erwachsene nicht gerade der Ort wo man viel Zeit verbringen möchte, wenn man sich ohnehin gerade nicht um seine Kinder kümmern kann.
Also wird dort nach Zeit gefüttert und versorgt und zwar alle vier Stunden. Nachts kümmert sich das Personal darum und würde es auch tagsüber tun, aber prinzipiell ist es natürlich deine Aufgabe, die du gerne übernimmst, nur eben nachts nicht, weil du sonst gar keinen Schlaf mehr kriegen würdest bei dem weiten Weg und der Zeit die man am Anfang als Neu-Mama noch zum Windelnwechseln braucht.

Das klingt immer noch alles sehr logisch und vernünftig, aber der Punkt ist folgender:
Die Menge, die ein Baby trinken soll, errechnen sie anhand seines Körpergewichtes. Ein Sechstel des Gewichtes am Tag, aufgeteilt auf sechs Mahlzeiten, also Gewicht/36. Da kommt natürlich eine Menge raus, die kein Neugeborenes sofort auf einmal trinken kann. Also fangen sie an Tag 1 mit 10 ml an, erhöhen aber jeden Tag um 10 ml. Also 20 an Tag 2. Es braucht kein Mamawissen um zu erkennen, dass da kaum ein Baby hinterherkommt. Deshalb die Magensonde. Nur, solange die noch drin und in Benutzung ist darf dein Kind die Station nicht verlassen.

Und das ist wirklich hart. Selbst wenn es am Ende "nur" 2 Wochen waren. Aber die Zeit, die du dort verbringst, auf einer Station, die zweimal am Tag jeweils nur eine Stunde Besuchszeit hat für alle, die nicht Mama und Papa sind und diesen Besuch Regeln unterstellt (nur einer auf einmal, die Babys dürfen nicht auf den Arm genommen werden), diese Zeit ist verdammt zermürbend.
Du möchtest schließlich eigentlich nur dieses perfekte Bild:
Du sitzt entspannt und halbwegs erholt auf deinem Bett in deinem Zimmer, deine Kinder an deiner Seite und deine Verwandten und Freunde kommen und jeder darf die Zwerge mal nehmen und streicheln und willkommen heißen.
Aber es ist so ungefähr das Gegenteil, was eben nur möglich ist. Und das tut schrecklich weh. Weil deine Hormone ja auch noch verrückt spielen diese fiesen Biester und außerdem irgendwann nach den ersten Tagen absehbar ist, dass aus den 5 Tagen und dann heim natürlich nichts wird, weil deine Kinder mit dem Trinken so schnell nicht mitkommen. Parallel dazu klappen deine ersten Stillversuche zwar sehr gut aber du wirst auf der Intensivstation nicht dabei unterstützt, voll zu stillen, weil das wegen erwähnter notwendigerweise zu trinkenden Menge nicht ausreichen würde, wenn du nur alle 4 Stunden stillen würdest.
Der logische Schluss, den dein hormongebeuteltes Hirn zieht: Wir kommen nie, nie, niemals nie wieder nach Hause!

Natürlich stimmt das nicht. Irgendwann kommt der Tag, an dem es "klick" macht und auf einmal klappt das mit dem Trinken. Na gut, nur aus der Flasche (denn fürs Vollstillen reicht die Kraft der Zwerge noch nicht aus) und nur mit regelmäßigen kleinen 5ml-Schummeleien beim Protokoll, aber es klappt und nach 3 Tagen dürft ihr endlich heim.

Ich will mich nicht beschweren. Ich habe auf dieser Station Babys und Eltern gesehen, die waren viel, sehr viel mieser dran als wir. Meine Jungs hatten ja nie ein Problem, sie wurden einfach nur überwacht.
Eine schwere Prüfung gleich zu Anfang der Elternschaft ist es aber wohl immer, wenn dein Kind auf einer Frühchenstation ist.

Aber es hat auch gute Seiten.
Als wir daheim waren, musste uns keine Hebamme mehr bei der Kinderversorgung helfen. Vom Windelwechseln übers Baden bis hin zum Zwillingsstillen konnten wir alles schon, auch wenn natürlich immer noch etwas Übung zur Perfektion gefehlt hat.
Zwillinge stillen und versorgen ist eh schon stressig und ich hatte auf diese Art das Glück, dass meine zwei Zwerge einen für mich angenehmen Rhythmus hatten was ihren Hunger anging.
Einschlafprobleme kennen wir (bis jetzt zumindest) auch nicht, die zwei sind von Anfang an daran gewohnt, nebeneinander in ihrem eigenen Bettchen einzuschlafen und nicht auf irgendjemandes Arm und erst nach ewigem Herumgetrage.

Was Strukturgebung angeht war die Zeit auf der Intensiv klasse für den Start in unsere eigene kleine Familie mit Zwillingen.
Aber obwohl sämtliches Personal dort wirklich unglaublich nett und liebevoll mit den Babys war, fehlt einfach die Liebe und Geborgenheit sehr so ganz zu Anfang.
Zum Glück lässt sich das nachholen!

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